Rente: Wenn der Nachholfaktor wieder in Kraft tritt
Laut Koalitionsvertrag wollen SPD, FDP und Grüne den sogenannten Nachholfaktor in der Rentenversicherung wieder in Kraft setzen. Doch was bedeutet das konkret? Und wie wird das die Renten beeinflussen? Eines sei vorweggenommen: Die Rentenerhöhung 2022 fällt mit diesem Mechanismus weniger deutlich aus. Eine kurze Erklärung.
Als vor wenigen Wochen der aktuelle Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung vorgestellt wurde, hieß es darin noch, dass die Rente im kommenden Jahr deutlich steigen werde. Um 5,95 Prozent in den neuen und 5,18 Prozent in den alten Bundesländern sollte sie raufgesetzt werden. Denn die Höhe der Rente wird jährlich nach einem festgelegten Verfahren errechnet, das sich an den Löhnen und Beschäftigtenzahlen orientiert. Und 2021 war ein vergleichsweise gutes Jahr, in dem sich die Wirtschaft nach den Corona-Lockdowns wieder erholte.
Nachholfaktor soll Rentenerhöhung schmälern
Doch der ausgehandelte Koalitionsvertrag zwischen SPD, FDP und Grünen wird wohl dazu beitragen, dass die Renten zum Juli 2022 weniger stark angehoben werden. Der Grund: Die Koalitionäre wollen den sogenannten Nachholfaktor wieder in Kraft setzen. Dieser bremst eine mögliche Erhöhung der Rente nach Krisenjahren aus – und sorgt dafür, dass sie nicht so stark steigt. 2018 hatte die Bundesregierung diesen Nachholfaktor ausgesetzt.
Was aber ist der Nachholfaktor – und weshalb gibt es ihn? Er geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 2009 zurück. Damals wurde gesetzlich festgeschrieben, dass Renten in den Folgejahren nicht sinken dürfen: auch dann nicht, wenn sich die Wirtschaft schlecht entwickelt und Löhne gesunken sind. Das ist eigentlich gut für Rentnerinnen und Rentner. Zugleich sollte aber auch ein Ausgleichsmechanismus in Kraft gesetzt werden, der dafür sorgt, dass nach Krisenzeiten die Renten weniger stark angehoben werden: nämlich nach Jahren, in denen die Renten rein rechnerisch hätten herabgesetzt werden müssen. Die hierfür maßgebende Formel ist der Nachholfaktor.
Ein solches Krisenjahr war 2020, als aufgrund der Corona-Pandemie viele Menschen in Kurzarbeit mussten oder gar nicht arbeiten konnten: speziell in der Veranstaltungs-, Kultur- und Gastronomiebranche. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums hätte 2021 als Folge der Coronakrise die Rente um 3,5 Prozent sinken müssen, da auch die Löhne im Lockdown einbrachen. Aber wie bereits erwähnt: Sinken dürfen die Renten nicht.
Wenn nun aber die Renten zu stark steigen, belastet das vor allem die Beschäftigten, die mit ihren Beiträgen die Renten finanzieren. Und auch den Steuerzahler, da die Rentenkasse zugleich von Zuschüssen des Bundes profitiert. Allein im Vorjahr flossen bereits 97 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse. Hierbei ist auch zu bedenken, dass die Gesellschaft altert und es immer mehr Ruheständler gibt: und weniger Beitragszahler.
Entsprechend begründen SPD, FDP und Grüne ihre Absicht, den Nachholfaktor wieder in Kraft zu setzen, mit der Generationengerechtigkeit. Konkret heißt es im Koalitionspapier: „Wir werden den sogenannten Nachholfaktor in der Rentenberechnung rechtzeitig vor den Rentenanpassungen ab 2022 wieder aktivieren und im Rahmen der geltenden Haltelinien wirken lassen. So stellen wir sicher, dass sich Renten und Löhne im Zuge der Coronakrise insgesamt im Gleichklang entwickeln und stärken die Generationengerechtigkeit ebenso wie die Stabilität der Beiträge in dieser Legislaturperiode“.
Um wie viel steigt denn nun die Rente 2022?
Der Nachholfaktor ist also ein Mechanismus, der Rentenerhöhungen nach Krisenjahren weniger deutlich ausfallen lässt, um die Beitragszahler zu entlasten. Aber um wie viel wird denn nun die Rente im Juli 2022 voraussichtlich steigen, wenn dieser Faktor in Kraft gesetzt werden sollte?
Wie stark sich der Nachholfaktor auf die Rentenerhöhung auswirkt, ist noch nicht sicher. Nach ersten Berechnungen war das Bundesarbeitsministerium davon ausgegangen, dass die Rente nur etwa um die Hälfte der kommunizierten Zahlen steigen werde. Gegenüber der „Bild am Sonntag“ sagte der geschäftsführende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hingegen, dass die Erhöhung voraussichtlich um 0,8 Prozentpunkte niedriger ausfallen werde. Demnach würden die Renten in Westdeutschland zum Juli 2022 um 4,4 Prozent angehoben, in Ost um 5,1 Prozent. Wie hoch die Anpassung tatsächlich ausfällt, wird erst im Frühjahr entschieden.